Schlesien in Bayern: Landeskulturtagung in Nürnberg
Nach zwei durch Corona ausgefallene Seminare waren über 30 Anmeldungen für das lang ersehnte Seminar am 4. November 2022 vorgemerkt. Die Landesfrauenreferentin der Landsmannschaft Schlesien in Bayern, Anneliese Woschke, organisierte und leitete dieses wieder gut thematisierte Tagesseminar. Sehr erfreulich, dass die Landsmannschaft der Oberschlesier (LdO) aus Nürnberg stark vertreten war.
Zum Thema „Schlesisches Kulturgut — Schlesische Trachten nach dem Krieg im Westen — ihre Herkunft und Geschichte — lebendiges Brauchtum heute?“ referierte sehr ausführlich Christiane Biedermann. Die Trachten sind einst entstanden aus dem Gefühl der Gemeinschaft, die in Generationen durch Sitte und Brauchtum zusammengewachsen ist, je nach der geographischen, geschichtlichen und konfessionellen Gegebenheit. Aber das besondere Merkmal einer Tracht ist ihre Beständigkeit. Bei der Vertreibung, unter Androhung der Todesstrafe, durfte niemand eine Tracht mitnehmen. Schlesier und Schlesierinnen begannen nach dem Krieg, ihre Herkunft zu dokumentieren.
„Was macht Frauen stark? — Tatkräftige Frauen nach Flucht und Vertreibung“. Dr. Maria Werthan übernahm freundlicher Weise dieses historische Thema. Die deutschen Vertriebenen und später die Aus- und Spätaussiedler mussten oft alle Brücken hinter sich abbrechen. Viele haben die rettenden Brücken nicht mehr erreicht. Sie starben an Entkräftung oder wurden Opfer der Rache oder der Fluten. Den Kindern, Frauen und Männern, die im „kalten“ Westen ankamen, baute man, von Ausnahmen abgesehen, keine goldenen Brücken. Sie zeigten meist wenig Bereitschaft, ihre Hungerrationen mit den „herbeigelaufenen Deutschen“ zu teilen. 70 Jahre später wissen wir, dass viele Unternehmer, Wissenschaftler und Künstler aus Vertriebenen- und Aussiedler-Familien stammen.
Was macht Frauen stark: Austausch bereichert uns. Vertriebene und Daheimverbliebene sind zwei Seiten einer Medaille, die sich gegenseitig befruchten und bestärken. Wir alle erlebten hautnah am Beispiel unserer Großeltern und Eltern, wie sie Krisen bewältigten, ohne sich selber, ohne die Familie, aufzugeben. Unsere Großeltern und unsere Eltern lebten uns die Tugenden der Selbstlosigkeit, der Genügsamkeit und vor allem den schonenden Umgang mit der Natur vor, heute sagt man Nachhaltigkeit. Familiensinn, christliches Miteinander und Werteverständnis sind die Ecksteine unserer Erziehung. Wir bauen Brücken der Freundschaft und der Verständigung zueinander und zwischen unseren Staaten. Das sichert den Frieden und gibt uns die Gewissheit, im christlichen Sinne zu handeln.
„101 Jahre Volksabstimmung in Oberschlesien: mit tragischen Folgen des Verlustes von Ostoberschlesien“ zu diesem Thema sprach Dr. Gotthard Schneider. Das Referat war der Historie der Volksabstimmung von 1921, also vor genau 101 Jahren, gewidmet. Der Referent stellte zunächst diese Ereignisse in einen größeren historischen Kontext, der mit dem 1. Weltkrieg begann. Dieser für Deutschland verlorene Krieg brachte im Versailler Vertrag unerträgliche Härten mit sich. So sollte ganz Oberschlesien mit seiner Bevölkerung, der wertvollen Kulturlandschaft und der ganzen Kohle- und Schwerindustrie an Polen fallen. Dies rief im ganzen Reich ungeahnte Protestreaktionen hervor. Da man mit solchem Protest nicht gerechnet hatte, entschlossen sich die Siegermächte, die künftige Zugehörigkeit Oberschlesiens entweder zu Deutschland oder zu Polen durch eine Volksabstimmung festzulegen. Dabei durften aber mehrere, rein deutsche Landkreise nicht mitstimmen.
Diskussion, Seminarkritik: Es wurde festgestellt, dass jedes Seminar eine große Bereicherung für die Arbeit in den Gruppen bringt. Sehr harsch wurde die Kürzung der Bundesmittel für § 96 BVFG kritisiert und ausführlich diskutiert.
Die oberschlesische Gruppe aus Nürnberg informierte über ihre wöchentlichen Treffen im Stadtkern von Nürnberg und die sich daraus ergebenden Diskussionen bezüglich der „Heimat Schlesien“.
Das durchgeführte Projekt wurde mit Haushaltsmitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Soziales gefördert.
Anneliese Woschke